Anpassungsfähigkeit
In den inneren Kampfkünsten Chinas wird der Kraft eines Angreifers nicht begegnet, sondern man fügt sich und ergänzt, bzw. vervollständigt ihre Bewegung soweit, dass sie wieder auf ihren Ursprung zurückgeleitet wird.
Nach der taoistischen Weltanschauung sind die Extreme nur ausschnittsweise Wahrnehmungen der Vollständigkeit. Daher ist die Aggressivität des Angriffs (Yang), nur ein Teil einer Kraft, der in der Passivität der Verteidigung (Yin) seine Komplettierung sucht. Das bedeutet, die Kraft des Angreifers kann neutralisiert werden, indem sie ihr Ziel trifft und dieses zerstört, was in größeren Zusammenhang betrachtet nur eine kurzzeitige Befriedigung verschafft, (etwa damit vergleichbar, wenn man bei einen Topf mit kochendem Wasser kurz den Deckel lüftet und wieder schließt) da die Kraft (Wasser/Dampf bzw. Angriffswucht) nicht zur Ursache (Feuer bzw. Gegner) zurückgeführt wird. Wie es z.B. der Fall wäre, wenn man mit den Inhalt des Topfes das Feuer des Herdes löschte. Um die Energie des Angriffs wirklich zu neutralisieren, muss der Verteidiger sich vollständig an die Aktion des Angreifers anpassen und sie wie ein Spiegel reflektieren.
Der Baum der sich dem Sturm nicht beugt, bricht.
(Lao tse Tao te king)
Leere
Ich vergleiche gerne, das Erlernen des Lung Hu Chuan, mit dem Bau eines Hauses. Das Erlernen der Technik stellt das Fundament. Die geistige Bereitschaft bildet das Gemäuer. Das Wesentlichste ist jedoch der Raum den es umschließt und der es nutzbar macht, er ist das Sinnbild der geistigen Leere und Absichtslosigkeit, durch die, die Verwirklichung der Gegenwärtigkeit möglich wird! Die Leere ist das zentrale Element der Kampfkunst, wie des Seins an sich.
Nur durch Absichtslosigkeit ist spontanes Handeln möglich.
Nur durch Unvoreingenommenheit ist Intuition möglich.
Nur durch Ungebundenheit ist Natürlichkeit möglich.
Nur dort wo Leere herrscht kann Fülle ihren Platz finden.
Dreißig Speichen treffen sich in des Rades Mitte (der Nabe),
aus ihrem Nichtsein (dem Loch in der Mitte) entsteht des Rades Brauchbarkeit.
Forme ein Gefäß aus Ton, aus seinem Nichtsein entsteht seine Brauchbarkeit.
Baue ein Haus und lasse Raum für Türen und Fenster,
dort wo nichts ist, ist des Hauses Brauchbarkeit.
Daher im Sein besteht die Möglichkeit,
im Nichtsein die Brauchbarkeit.(Tao Te King)
Gegenwärtigkeit
Obwohl die Gegenwärtigkeit den einzig realen Punkt der Existenz darstellt, entzieht sie sich doch paradoxer Weise konstant unserer Wahrnehmung.
Unsere Unfähigkeit ihrer Wahrnehmung, beruht auf der Angewohnheit jede Beobachtung, im Geiste, zu dokumentieren. Wenn wir auf die Uhr sehen und feststellen das es gerade Punkt Zwölf ist, so ist dies in jeden Fall ein Irrtum, denn noch während wir denken hat sich der Zeiger bereits ein Stück weiterbewegt. Wir leben in Vergangenheit, da unser Denken an sich, ein Teil dieser Vergangenheit ist.
In Situationen welche schnelle Entscheidungen, unverzügliches Handeln erfordern, ist jedoch ein gegenwärtiges Bewusstsein von Nöten. Ein Gegenwärtiges‚ Bewusstsein kennt keine Voreingenommenheit, keine Erwartungshaltung und kann daher auch nicht getäuscht werden.
Gegenwärtigkeit lässt sich erreichen, indem wir uns von dem unaufhörlichen Strom der Gedanken distanzieren – nur beobachten – ohne das stetige Geplapper im Kopf.
Unsere Handlungen erfolgen dann über einen intuitiven Impuls, anstatt einem Abwegen, von Für und Wieder.
Die Kampfkünste sind dafür sowohl Metapher als auch eine direkte Erfahrungsebene. Ein Kämpfer der seine Handlung zuerst sorgsam durchdenkt, ehe er seine Verteidigung ausführt, würde gewiss selten auf einen Gegner treffen der so nett wäre abzuwarten, bis er seinen Gedankengang vollendet hat. (Was übrigens ohnedies sinnlos wäre, denn wie das Sprichwort sagt, kommt es erstens immer anders, und zweitens als man denkt.
Es hat auch keinen Sinn darüber zu sinnieren, was man hätte tun sollen. Wenn man während eines Kampfes in der Vergangenheit weilt, und sei es auch nur um seinen Fehler zu analysieren, läuft man Gefahr, während dessen vom Gegner überrascht zu werden.
Wir können weder die Vergangenheit noch die Zukunft ändern. Alle Handlungen können nur zu einem einzigen Zeitpunkt erfolgen – „jetzt“.
Die Fähigkeit des spontanen Handelns ist eine grundlegende Voraussetzung für das Überleben, wir tragen sie alle in uns, oft allerdings oft verdrängt von schlechten Angewohnheiten.
Ein Kampfkünstler der zögert spielt mit seinem Leben.
Ich will damit nicht sagen, dass wir auf das Denken verzichten könnten oder sollten. Wichtig ist, dass das Denken die Spontanität und Intuition nicht be- bzw. verhindert. Wie Eingangs schon erwähnt, steht das Denken im Widerspruch zur direkten Wahrnehmung, welche sich auf die Beobachtung bezieht. Um Spontan zu sein und dennoch nicht auf die Fähigkeit der bewussten Erkenntnis zu verzichten, müssen die Gegensätze in und durch die Gegenwart miteinander vereint werden.
Es scheint als wäre die Nutzung der Intuition, in unserer Gesellschaft zu etwas ungewöhnlichen geworden, tatsächlich jedoch ist sie unsere ureigenste Handlungsweise.